Humortheorie

Zur Theorie des Humors — Öffnung ohne Überflutung

Wer es mit Humor nehmen kann hat mehr Freiheiten, mehr Spielraum. Er ist zugänglich für andere Sichtweisen, ist nicht erstarrt, blockiert oder nur auf ein Ziel fixiert. Wer lachen kann hat ein Mindestmaß an Schwingungsfähigkeit, die es ihm erlaubt, Doppelbödigkeit und Hintergründigkeit wahrzunehmen. Wer lachen kann ist lebendiger, in dem Sinne, dass er weitere Aspekte, andere Hinsichten einer Situation gelten lassen kann.

Humor kann etwas andeuten, auf etwas anspielen, das wir im Moment gerade nicht explizit leben: Aggressivität, Schadenfreude, Demütigung, Sexualität, Obszönität (S. Freud), Kindlichkeit, Verwirrung, Verzweiflung, Vergänglichkeit, Tierhaftigkeit (H. Plessner), Maschinenhaftigkeit (H. Bergson) usw. Die verschiedenen Theorien des Lachens sind sich hierin erstaunlich einig: Eine Realität, eine menschliche Möglichkeit, die sich im Moment nicht zeigen soll, lugt ein bißchen hervor, macht sich irgendwie bemerkbar. Das üblicherweise Ausgegrenzte darf jetzt einbezogen und als wirklich wahrgenommen werden (J. Ritter), ein Sieg des So-ist-es über das So-hat-es-zu-sein (O. Marquard). Im Lachen sind wir durchlässig für das Hintergründige, den Untergrund des Lebens.

Wir spielen damit, genießen es vielleicht und meistern in jedem Fall die Situation. Dabei ist wohl jedem Lachen zumindest ein kleiner Triumph (Th. Hobbes «sudden glory», H. Schmitz) eingewoben, wir behaupten uns, wir leben gerne — trotz widriger Umstände. In Trauer und Niedergeschlagenheit kann Humor wieder etwas Blau im grauen Himmel sichtbar werden lassen; wir erleben einen ersten Abstand und sei es für einen Moment.
Und wir haben keine Angst, vor allem nicht in Gemeinschaft. Lachen ist die Kunst der Vernichtung von Angst, meint Umberto Ecco. Wir erleben unsere Souveränität und im ansteckenden Lachen unsere Sozialität.

Es gibt allerdings auch das böse Lachen, das Auslachen, das höhnische Lachen, das Angst macht und nicht für alle Beteiligten fröhlich und heiter ist. Manchmal gelingt es aber auch in diesem Fall, wiederum Humor gleichsam als leichte Abwehrwaffe einzusetzen. Mit Humor kann einer Aggression flexibel begegnet oder es kann variantenreich angegriffen werden. Im Sinne einer abgestuften Eskalation erweitert Humor in jedem Fall unser Handlungsspektrum.

Humor zerkleinert die großen Themen wirksamer und besser, schreibt schon Horaz vor 2000 Jahren (ridiculum acri fortius et melius magnas plerumque secat res, Hor.sat.1,10). Es ist geradewegs der übergroße Ernst, meint Shaftesbury in Weiterführung von Horaz, der zum Wesen von Betrug und Fanatismus gehöre (Ein Brief über den Enthusiasmus, 1707). Übergroßer Ernst befördert zweifellos Unglück und Verdruß: er schließt Lebensmögliches aus und verhindert spielerischen Abstand. Humor hingegen erlaubt Öffnungen ohne die Gefahr distanzsloser Überflutung.

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