Biographiearbeit

Biografiearbeit

Es gibt die Redewendung vom „erfüllten Leben“ und in der Bibel heißt es ähnlich „Und Hiob starb alt und lebenssatt“. Was ist damit gemeint, kann es das überhaupt geben ein „erfülltes Leben“?

Erfülltes Leben als Sattheit
glasvoll50In der Bibel ist es so gemeint: Hiob hat im wesentlichen alles erreicht und alles bekommen, was das Leben bieten kann. Nachdem er alle Qualen dieser Erde durchlitten hatte, wendete sich das Blatt zum Guten. Er bekam Beileid und Trost von all seinen Verwandten und Freunden. Er bekam Gold und Silber, große Herden an Kamelen, Rindern und Eseln, er bekam sieben Söhne und drei Töchter. Seine Töchter waren die schönsten im ganzen Land. Und er lebte noch 140 Jahre und sah seine Enkelkinder bis ins vierte Glied.
Hiob bekam alles, was es damals gab, er erlebte, hatte und war alles, was man damals sein konnte. Sein Leben war in diesem Sinne komplett, vollständig, ganz, lückenlos. Er war „satt“ heißt es, hatte genug von allem. Seine letzte Lebensphase war wir ein Festmahl an dessen Ende man in jeder Hinsicht satt und zufrieden ist. Das ist das Urbild vom satten, vollen Leben, wie wir es auch in den beliebten Goethezeilen wiederfinden:
„Alles gaben Götter die unendlichen
Ihren Lieblingen ganz
Alle Freuden die unendlichen
Alle Schmerzen die unendlichen ganz.“

Ganz ähnlich wie bei Hiob finden wir auch bei Goethe den besonderen Bezug zu den Göttern und gleichzeitig den maximierten, individuellen Lebensvollzug. Von der Gottheit bevorzugt geliebt und auserwählt gelingt es diesen Einzelnen, oder haben sie das Ziel, das Leben besonders vollständig zu leben.
In dieser individualistischen, ich-betonten Perspektive ist die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Vervollkommnung des eigenen Lebens gerichtet. Das Leben der anderen oder das Leben im Allgemeinen wird zum Umfeld, in dem das eigene stattfindet.

Leeres Leben und Traurigkeit
glassleer50Die Gegenposition dazu bezeichnet der deprimierende Satz „Das Leben ist ein Leichenzug von totgeborenen Möglichkeiten.“ (Ich weiß nicht mehr, wer’s geschrieben hat.) Das ist der traurige Blick auf die verpaßten Chancen, auf die nicht-gelebten Potentiale, auf die Kläglichkeit des realen Daseins vor dem Hintergrund schier unendlicher Möglichkeiten. Die tatsächlich ergriffenen Gelegenheiten fallen schon nicht mehr ins Gewicht vor dieser Armada an vertanen Chancen. In der Hauptsache wurde das Leben nicht gelebt. Menschliches Leben ist so reich und vielfältig, was kann ein einzelner Mensch davon schon erleben? Nur einen winzigen Ausschnitt, ein paar Fertigkeiten, ein paar Aufgaben — und das alles nur in der eigenen Lebenszeit um das Jahr 2000 herum. Ein einzelnes Leben ist vor diesem Hintergrund gleichbedeutend damit, sogut wie alle Chancen zu verpassen — und möglicherweise darüber zu trauern, was alles nicht gelebt wurde.

Leben und Teilhaben
glassgross50In dieser Einstellung sehen wir unser Leben in seinen Beziehungen zu anderen, zu unserem Umfeld und Kontext. Wir konzentrieren uns nicht so sehr auf unsere individuelle Erfüllung oder unsere besondere Trauer, sondern versuchen, unsere Herkunft und unser Leben in seinen Bezügen zu begreifen wie Verwandschaftsbeziehungen, Freundschaften, Nachkommen, Arbeit, Kultur, Menschheit etc. Oft öffnet sich erst auf diesem Weg der Reichtum der Welt im Unterschied zum Reichtum für ein einzelnes Individuum. Bildlich gesprochen steht jetzt ein halbvolles Glas vor einem Hintergund. Der Druck, das Leben möglichst perfekt zu meistern und die Belastung, eventuell viel versäumt zu haben, lassen nach. Wir lernen, unser kleines, begrenztes Leben auch als Teil von etwas Größerem zu sehen, an dem wir teilhaben.
Wir können uns fragen:
— In welchen Bereichen ist mein Leben erfüllt?
— Welche Themen sind eine drängende Aufgabe für mich?
— Welche Bereiche kann ich loslassen und „von anderen leben lassen“?
— Wo möchte ich mein teilnehmendes Leben erweitern?

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